Meine Geschichte beginnt im Sommer 2004. Ich hatte kurz zuvor mein Abi bestanden und fühlte mich wie ein Fallschirmspringer kurz vor dem ganz großen Sprung. Die Welt stand mir offen und ich fühlte mich unbesiegbar. Ich könnte die Welt umreisen oder eine beeindruckende Karriere hinlegen. Meine Lieblingsschriftstellerin Fanny zu Reventlow prägte meine Maxime: Alles möchte ich immer. Doch noch bevor ich die Konturen meines Lebens klarer zeichnen konnte, fiel ich zum ersten Mal um. Zunächst verlor ich mehrere Male unangekündigt das Bewusstsein, tageszeitunabhängig, grundlos. Da ich ein storchenähnliches Gewächs bin, wurden zunächst Herz-Kreislauf-Probleme vermutet, doch der erste Grand-Mal-Krampfanfall ließ nicht lang auf sich warten. Nachdem ich in zwei Kliniken auf den Kopf gestellt worden war, und beide Male die Ärzte zum gleichen Ergebnis kamen, folgte die große Ernüchterung. Endstation Epilepsie?
Einen Tag vor Weihnachten wurde ich mit einem Berg an Aufklärungen, Auflagen, Medikamenten und deprimierenden Zukunftsaussichten entlassen. Und doch wusste ich mit der Diagnose nicht viel anzufangen. Gehört hatte ich davon, aber so wirklich wusste ich nichts darüber und das konnte doch nicht einfach so kommen, dachte ich mir. Ich war doch kerngesund, körperlich und geistig topfit. 20 Jahre alt. Epilepsie, da war ich mir sicher, das haben andere, das haben vor allem nicht „normale“ jugendliche Menschen wie ich. Vorurteile hallten durch meinen Kopf. Nun gut, dann hatte ich halt zwei Anfälle, nehme nun die Medizin und dann passiert das nie wieder. Muss ja auch keiner wissen.
Das ist jetzt 9 Jahre her. Um genau zu sein: 9 Jahre, 7 Antiepileptika, 24 Klinikaufenthalte in 8 Kliniken, 7 ambulante Neurologen, zahllose Anfälle, Nebenwirkungen und EEGs. Und eben auch zahllose Vorurteile, unangenehme Momente voller Ablehnung und Scham. Und deswegen darf und soll es jeder wissen. Schließlich waren es auch 9 Jahre voller Lebensfreude, Seifenblasen, Einhörner und Luftballons. Und das 20-jährige, ängstliche und verlorene Mädchen, das sich für ihre Anfälle schämte und zuhause verkroch, von Mitmenschen isoliert und ausgegrenzt wurde, wuchs zu einer jungen und stolzen Frau, die kurz vor ihrem Magister steht und ein beinahe ganz normales Leben führt, durch das Leben tanzt und bereit ist, sich mit der Unterstützung ihrer Verbündeten allen Hürden zu stellen.
Natürlich gibt es auch graue Tage und Tage so schwarz wie ein Panther; und manchmal überkommen mich Zukunftsängste, die mir beinahe die Luft zum Atmen nehmen. Doch die Diagnose Epilepsie war mitnichten meine Endstation. Sie ist viel mehr eine Weiche gewesen, die den Streckenverlauf meines Lebens änderte. Die Strecke, die mein Lebenszug nun fährt ist sicherlich wesentlich kurviger und manchmal gibt es Streckenhindernisse, die von den Schienen geräumt werden müssen. Dafür ist der Zug voller Erlebnisse, die ich nicht missen möchte, und voller Dankbarkeit für dieses eine zauberschöne Leben, die ich sonst nie empfunden hätte. Und nun schreibe ich darüber. Für all die lautlosen Epileptiker, die Angst vor Ablehnung und Ausgrenzung haben, aber auch all diejenigen Menschen, in deren Köpfen die Stimmen der Vorurteile noch allzu laut schreien.
„Natürlich gibt es auch graue Tage und Tage so schwarz wie ein Panther;….“ Wer hat die nicht? Den/die möchte ich gerne kennen lernen.
Lieber Herr Buchs, da haben Sie natürlich recht. Dennoch ist es in dieser Hinsicht nicht unbedeutend zu unterscheiden zwischen einem grauen oder schwarzen Tag eines „gesunden“ Menschen und eines Epileptikers. Ich denke, dies kann man wirklich nicht vergleichen.
OK, natürlich, da haben Sie nun wieder recht, Sarah Elise. Es stellen sich dann so fragen wie „was ist bzw. wie lange ist eine/r ein gesunder Mensch?“ „Häufigkeit der grauen und der schwarzen Tage im Verhältnis auch zu den hellen, strahlenden?“ usw. usf. Das ist dann aber ein anderes Thema, auch die Folgen bei verschiedenen Menschen.
Lieber Othmar, ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass es schwierig ist, diesbezüglich Unterscheidungen zu treffen. Deshalb bezieht sich mein Artikel auch ausschließlich auf mein Leben mit Epilepsie und die damit verbundenen grauen/schwarzen Tage. Auch ich habe natürlich darüber hinaus gelegentlich einen miesen Tag, der nun rein gar nichts damit zu tun hat, sondern zB privater oder beruflicher Natur ist, das bleibt ja nicht aus.
Und dies macgt Sie, liebe Sarah Elise für mich sehr sympathisch. Alles Gute für Sie und vor allem viel Gesundheit, Kraft und Lebensenergie. Othmar Buchs